Animator spricht über Arbeitsdruck und Verzweiflung

Einer der prominentesten Animatoren von Studio Shaft, Hiroto Nagata, sprach vor Kurzem über den extremen Druck, dem er bei seiner Arbeit ausgesetzt sei. Wir fassen zusammen.

Tränen und Albträume

In dem mittlerweile gelöschten X-Post brachte Hiroto Nagata, der insbesondere für seine Beteiligung an den Anime-Filmen »Fireworks« und »Kizumonogatari Part 3: Cold-Blooded« sowie dem TV-Special zu »The Quintessential Quintuplets« bekannt ist, seine Verzweiflung und Ängste, welche er eigenen Angaben zufolge jeden Tag bei der Arbeit verspüren würde, zum Ausdruck:

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»Das Produktionsteam warnte mich: ›Wenn das nicht gut läuft, können Sie die Anime-Industrie ganz vergessen.‹ Also dachte ich mir: Ich muss mein Bestes geben, sonst bekomme ich keine Jobs mehr.

Ich arbeitete und weinte dabei. Am liebsten hätte ich aber gesagt: ›Wenn Sie mir nicht in letzter Minute noch mehr Arbeit reingedrückt hätten, wären wir jetzt nicht in dieser Situation. Ich habe Ihnen gesagt, dass es unmöglich zu schaffen ist.‹ Aber ich schluckte diese Worte herunter, denn es hätte im Moment keinen Sinn, mit dem Produktionsteam zu streiten.«

Anschließend erzählte Nagata auch von einem Albtraum, in welchem er von einem Kollegen erwürgt worden wäre und selbst nach dem Aufwachen noch an dem erstickenden Gefühl gelitten hätte:

»Ich habe davon geträumt, von einer Person in meinem Unternehmen erwürgt zu werden, und selbst nachdem ich aufgewacht bin, tut es aus irgendeinem Grund immer noch weh. Seit diesem Tag habe ich dieses erstickende Gefühl, als würde mir jemand auf die Kehle drücken. Natürlich machte ich mir Sorgen und ging zur Untersuchung ins Krankenhaus, aber es war alles in Ordnung. Was ist nur los?«

Bereits vor einigen Wochen veröffentlichte Nagata einen Post, in dem er seine Arbeit als unerträglich beschrieb und angab, unter Herzrasen und Atemnot zu leiden, wenn er an seinem Schreibtisch sitze.

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Via X (1, 2, 3)
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11 Kommentare und Antworten zu "Animator spricht über Arbeitsdruck und Verzweiflung"

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Primordus
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Primordus

Tjoar Zeit Gewerkschaften ins Leben zu rufen und allgemein Sanktionen gegen massiven Arbeitsmissbrauch zu verhängen, sonnst wird sich nichts ändern

Ich
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Ich

Überraschung, Überraschung … Aber es ist ja anscheinend immer noch nicht angekommen, dass es SO nicht weitergehen kann! Immer nur mehr, mehr, mehr funktioniert nicht. Strukturell muss es sich grundsätzlich ändern. Mehr braucht man da auch gar nicht mehr zu sagen. So geht es nicht!

Guts
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Guts

Wer mal sehen will, wie stark der Arbeits-/Zeitdruck ist, kann sich das Videotagebuch einer amerikanischen Animatorin zu ihrer Arbeit bei Mappa (Jujutsu Kaisen) ja mal anschauen. Sie wurde sogar noch wenige Tage vor Ausstrahlung einer Folge gebeten Animationen zu zeichnen: youtube.com

kjkjk
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kjkjk

Das wird jetzt zwar keinem gefallen, aber wenn sich etwas ändern soll, dann müssen sich erst die Animatoren/Zeichner/Art-Designer ändern. Eure Kritik hat nicht auf Twitter/Facebook und instagramm zu stehen, sondern auf dem Beschwerdebrief an euer Produktionskommitee. Und zwar mit Kündigungsdrohung.

Sani
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Sani

Also Kündigungsdrohung ist das letzte was die tun würden, wenn sie “überleben“ wollen! Da Lachen die Komitees und sagen wie: »Entweder du arbeitest oder verhungerst«. Bis man neue Arbeitsstelle findet (wenn überhaupt!), kann es leider „zu spät“ sein.

Dreambird1973
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Dreambird1973

Nicht wenn das alle machen, die darunter leiden müssen. Würden 1000e oder mehr gleichzeitig kündigen, müssten die mal sehen wie sie ohne Arbeiter vorankommen wollen….

Sani
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Sani

Ja, das könnte klappen. Aber dann richtig, also so ziemlich alle. Und eventuell Gewerkschaft gründen, wenns die Regierung erlaubt.

Breaker
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Breaker

Würden Tausende es machen hätten Tausende aber auch Schnell kein Dach mehr übern Kopf ,m kein Essen im Kühlschrank
und hätten noch Gottweiß andere Sorgen und Probleme die dann hinzukämmen .
Dann gibt es Animatoren mit Familie die wollen auch irgendwie diese mit Versorgen .

Sry aber das ist Naiv zu glauben
Wenn viele es machen klappt es

Dann wird nämlich Ausgesiebt und besonders Auffallende Personen landen Ruckzuck auf sogenannte Blocked Lists oder auch Blacklists

und dann war alles für die Katz
Das Lernen , das Studium einfach alles

Ich
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Ich

Der Brief landet dann im Papierkorb. Die sagen dann einfach ‘Dann nehmen wir eben jemand anderes’ und das war es dann. Und es gibt immer jemand anderes, da die Leute ja Geld verdienen müssen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.

Der Punkt ist: das schaffen die allein nicht.

Guts
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Guts

Außerdem landet man dann ganz schnell auf einer schwarzen Liste und bekommt gar keine Aufträge mehr. Ist gängige Praxis in solchen Branchen.

知らない人
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知らない人

Unabhängig davon was ich von dem Zustand der Industrie halte, den Arbeitsbedingungen oder der Produktionspraxis (etc…); es zeigt sich hier schon nach kurzem Überfliegen der ersten Kommentare zu wie viel Missverständnis diese ewige Halbwahrheit, es gäbe in Japan keine Gewerkschaften wie wir sie kennen geführt hat. De facto liegt das Problem eben nicht darin, dass Gewerkschaften nicht existieren (Ich wiederhole mich aber es ist wichtig diesen Gedanken aus dem Kopf zu bekommen), sondern in der aktuellen Tätigkeit und Firmenabhängigkeit derselben.

Ein Beispiel möge die Funktionalität der Gewerkschaften in Japan illustrieren:
Das aktuelle Lohnprinzip mit Grundlohn I und Grundlohn II, also Leistungs- und Senioritäts-Lohn ist ist eine Errungenschaft der in Japan seit spätestens dem Einfluss der Amerikanischen Besatzer in der Nachkriegszeit auch unter diesem Namen existierenden Gewerkschaften. Das Senioritätslohn-Prinzip hat zwar durchaus einen etwas zweifelhaften Ruf (Je nach Begründung auch zurecht) aber ist die Umsetzung der Forderung feste Anstellung bei Inflationsausgleich. Insofern ist Senioritätslohn grundsätzlich wie ein Inflationsausgleich gedacht.
Ohne diese Tangente bezüglich relativ fester Anstellung auch heute noch auszuführen (heute hat sich diese Situation seit der 50er Jahre »unerwarteter« Weise leicht verändert) ist dieser Lohn, der nur für das Angestellt sein in einer Firma über Zeit steigt, eine Errungenschaft von Gewerkschaften, insbesondere für Metall.
Sie sind ein Resultat aus heftigsten Auseinandersetzungen der 50er Jahre und beweisen das Japan in keinster Weise ein »Land der Harmonie« oder dergleichen ist, und dass auch Arbeitnehmer in Japan durchaus widerstandsfähig sein können.

Anders gesagt ist die Annahme, in Japan gäbe es keine Gewerkschaften auf einem Level mit Stammtischdiskussion.
Unabhängig davon gibt es, wie diese Situation augenscheinlich jedem vermitteln konnte, ein gravierendes Problem mit diesen Gewerkschaften: Sie sind mittlerweile in aller Regel nicht mehr Branchenübergreifend.
Das bedeutet die meisten Firmen haben Firmeneigene Gewerkschaften. Firmenleitung und Arbeitnehmer-Verbände setzen sich dennoch miteinander auseinander, die Machtverhältnisse sind allerdings in jeder Firma anders. Anders gesagt hat die Firma als pars pro toto ihren Arbeitnehmer-Verband besser oder schlechter »im Griff«.
Das bedeutet nicht, dass es nicht starke Gewerkschaften gäbe (ein Beispiel ist meines Wissens nach Nissan), es ist allerdings schwer Gewerkschaften zu pauschalisieren.

Als nächstes ein kurzer Exkurs de jure.
Es gibt grundsätzlich durchaus Arbeitsschutzgesetze und spätestens nach der Popularisierung des 過労死-Phänomens (Karōshi) auch außerhalb von Japan gab es entsprechende Änderungen und Aufklärung bezüglich der enormen Arbeitslast. Die Menge der ブラック会社 (»Schwarzen Firmen«) ist innerhalb der letzten Jahre dadurch auch zurückgegangen und mittlerweile nicht mehr die Norm.
Warum ich »de jure« und nicht »de facto« verwende ist anhand der vorliegenden Situation wohl ersichtlich. Das Problem hierbei liegt allerdings (wobei das folgende übermäßig simplifiziert ausgedrückt und etwas Meinungsbehaftet, also mit Vorsicht zu genießen ist), in Verhaltenserwartungen nicht zuletzt der betroffenen Individuen ist.
So oder so: Das Problem liegt auch nicht in der Gesetzgebung, allerhöchstens (aber das müsste man erst mal an Fallbeispielen zeigen) an der tatsächlichen Rechtsprechung.

Ich schreibe in der Regel nicht wirklich Kommentare, aber wenn ich hier schon dabei bin, möchte ich auch noch kurz auf den von einem anderen Kommentator als notwendig erachteten Strukturwandel innerhalb der Industrie (wie weit auch immer man diesen Begriff fassen mag; in Produktion von Unterhaltungsmedien – in diesem Fall Anime – ist deutlich mehr integriert als auf den ersten, zweiten oder dritten Blick vielleicht ersichtlich) eingehen.
Tatsächlich ist ein Strukturwandel immer eine schöne Aussicht und an sich Progressivismus nichts schlechtes. Wenn der Antrieb aber reine Veränderung ist und aus Unzufriedenheit mit der Gegenwart ohne Blick auf die Zukunft ist, ist der zu erwartende Fortschritt unfruchtbar. Anders gesagt, müsste hier das Problem in seinem Ursprung grundsätzlich erst mal identifiziert werden bevor von Veränderung die Rede sein kann.
Ich bin niemals ein Freund davon gewesen den Zuschauer in die Verantwortung für die Produktionspraxis des Produkts zu setzen, dementsprechend werde ich hier nicht als »Lösungsansatz« (den übrigens niemand zu kennen scheint inklusive mir) den Boykott japanischer Animation vorschlagen. Generell hat aber die ausländische Presse historisch gesprochen einen sehr hohen Einfluss auf die Richtlinien japanischer Akteure.

Realistisch gesprochen ist ein grundlegender Strukturwandel der Zeichentrickproduktion in Japan in den nächsten Jahren höchst unwahrscheinlich, man sieht Entlastungsversuche allerdings an einigen Stellen (Outsourcing; CG-Integration; Live2D-Anwendung; Modernisierung etc.), die auch neue Arbeitsplätze schaffen. Grundlegend liegt hier auch kein der »Anime-Industrie« eigenes, strukturelles Problem vor. Man könnte eher in Richtung eines Problems der Industrie allgemein argumentieren aber auch hierbei wäre ich vorsichtig. Die Maßnahmen in dieser Angelegenheit scheinen zwar nach und nach ihre Wirkung zu zeigen, wie weit sich das auf die jetzige Generation von Animierenden auswirkt, bleibt jedoch abzuwarten bis die vorherigen Generationen nach und nach vom Markt verschwinden.
In der Gegenwart denke ich Japan hat mit Inflation, Geopolitik und demographischem Wandel einige Probleme, die die Regierung als Leitthemen einstuft. Diese Probleme sind mit der jetzigen Krise in der Animationsindustrie wahrscheinlich eng verknüpft. Die Lösungsansätze die Regierung und Bevölkerung präsentieren werden erwarte ich persönlich gespannt: Japan ist nach fast zwei Jahrtausenden selbst zum Modell geworden.

Nehmt bitte mit, nicht alles zu glauben (meinen Kommentar eingeschlossen) was Leute erzählen, wie Japan ist. Stammtischdiskussionen können lustig sein, aber wenn ihre Argumente in einer seriösen Manier verkauft werden, führt das oft zu Missverständnissen, wie dem eingangs genannten »Problem der Gewerkschaften«.

Danke wer bis hierher gekommen ist.

(Es würde mich im übrigen interessieren ob diese Seite Leserbriefe annimmt und liest)