Trotz Rekordumsätzen: Viele Anime-Studios stecken in der Krise

Die Association of Japanese Animations (AJA) meldete zwar einen neuen Rekordumsatz für die Anime-Industrie, doch viele Studios kämpfen weiterhin mit erheblichen finanziellen Schwierigkeiten – wie lässt sich dieser Widerspruch erklären?

Studios haben nichts vom Boom

Die Anime-Industrie hat laut dem aktuellen AJA-Bericht einen neuen Rekord erreicht: 2023 erzielte sie einen Umsatz von 3,35 Billionen Yen (rund 19,7 Milliarden Euro), was einem Plus von 14 % gegenüber dem Vorjahr entspricht.

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Trotz dieser beeindruckenden Summe verzeichnen 32 % aller Anime-Studios Verluste – ein deutliches Zeichen für die wachsende Kluft zwischen den starken Umsätzen der Branche und der prekären Lage vieler Produktionsunternehmen.

Nur 13 % des Gesamtumsatzes, also etwa 427,2 Milliarden Yen (2,5 Milliarden Euro), flossen direkt an die Animationsstudios zurück. Grund dafür ist das System der Produktionsausschüsse, bei dem Großunternehmen die Finanzierung übernehmen.

Dieses Modell mindert zwar das Risiko für Investoren – da eine zwölfteilige Anime-Serie heute rund 300 bis 600 Millionen Yen (etwa 1,8 bis 3,6 Millionen Euro) kostet – benachteiligt jedoch die Studios, weil die Ausschüsse die Rechte behalten und die Gewinne aus Lizenzen, Streaming und Merchandise einstreichen.

Kluft zwischen Studios wächst

Kleinere Anime-Studios sind meist nicht Teil dieser Ausschüsse und müssen sich daher mit einmaligen Produktionshonoraren begnügen. Diese decken zwar die laufenden Produktionskosten, sichern aber keine nachhaltigen Einnahmen.

Laut Naoki Ishikawa, dem stellvertretenden Generalsekretär der AJA, ist eine Änderung dieser Situation schwierig, da die Studios nur geringe Verhandlungsmacht besitzen und kaum bessere Konditionen aushandeln können.

Zwar meldeten 45 % der Produktionsunternehmen für 2023 steigende Gewinne, doch die wachsende Kluft zwischen erfolgreichen und finanziell schwachen Studios wirft weiterhin Fragen zur Zukunftsfähigkeit der Branche auf.

Gemäß der letzten AJA-Erhebung von 2020 gab es in Japan 811 Anime-Studios, von denen rund 100 eine Schlüsselrolle in Planung und Produktion spielen. Diese etablierten Unternehmen profitieren von höheren Budgets und beteiligen sich teils selbst an Ausschüssen, um langfristig Gewinne zu erzielen.

Kleinere Studios mit Nachteilen

Ein Paradebeispiel in dieser Hinsicht ist Studio MAPPA, das vollständig in »Chainsaw Man« investiert hat, doch kleinere oder neuere Studios können davon nur träumen. Selbst ein Sitz in den Produktionsausschüssen scheint für viele unerreichbar, da es ihnen hierfür oft an der Erfolgsbilanz oder den Ressourcen mangelt.

Dies führt dazu, dass sie niedrige Produktionsbudgets akzeptieren müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, und auch die Möglichkeit an Rechten am geistigen Eigentum aufgeben, was ihr Einnahmepotenzial weiter einschränkt.

Infolgedessen arbeiten diese Studios mit hauchdünnen Gewinnspannen, was es ihnen erschwert, in bessere Ausrüstung, Ausbildung oder Löhne zu investieren.

Kein Geld für Mitarbeiter

Die Situation der Mitarbeiter wurde schon häufiger kritisiert – und nachdem nicht die Produktionsausschüsse, sondern die Studios deren Löhne bezahlen, werden diese auch weiterhin niedrig bleiben, sofern nicht genügend Einnahmen verteilt werden.

Dem Bericht zufolge ist es schwierig für viele Studios, die Gehälter der Animatoren zu erhöhen oder in langfristiges Wachstum zu investieren, ohne selbst pleite zu gehen.

Zahlreiche Produktionsunternehmen sind zunehmend auf Outsourcing angewiesen, also die Vergabe von Aufgaben an externe Studios, um den steigenden Produktionsanforderungen gerecht zu werden.

Da diese Auftragskette jedoch nur geringe Gewinne abwirft, arbeiten viele Zulieferer mit teils starken Verlusten – ein Teufelskreis, in dem die schwächsten Glieder der Branche die größte Last tragen.

Ausbeuterische Arbeitsbedingungen

Inmitten dieses finanziellen Drucks sind die Auswirkungen vor allem für Animatoren gravierend, denn laut dem Bericht der Vereinten Nationen (UN) über die japanische Animationsindustrie vom Mai 2024 verdienen sie auf Einstiegsebene durchschnittlich 1,5 Millionen Yen (etwa 8850 Euro) pro Jahr, was kaum zum Überleben reicht.

Das hat zur Folge, dass rund 25 % der Animatoren die Branche innerhalb von nur vier Jahren und 68 % innerhalb von acht Jahren verlassen, wie das Japan Research Institute feststellte. Diese Abwanderung von Fachkräften hat zu einem Mangel an technischem Fachwissen geführt, der die Produktion hochwertiger Animationen behindert und zunehmend ins Ausland verlagert, um den Produktionsbedarf zu decken.

Erschwerend kommt hinzu, dass fast 31 % der Beschäftigten in der Animationsbranche als Freiberufler tätig sind. Da sie keinen Arbeitsschutz genießen, sind viele von ihnen überlangen Arbeitszeiten und unfairen Auftragsbedingungen ausgesetzt.

Regierung geht Probleme an

Trotz Arbeitszeitreformen gaben im Jahr 2022 immer noch 10 % der Animatoren an, mehr als 260 Stunden im Monat zu arbeiten, was etwa 8 bis 9 Stunden pro Tag entspricht – ohne Berücksichtigung von Wochenenden oder Feiertagen.

Immerhin hat die japanische Regierung die Probleme erkannt und möchte im Rahmen ihrer »Cool Japan«-Strategie die Anime-Industrie fördern, indem sie junge Kreative unterstützt, gegen unfaire Handelspraktiken vorgeht und die Zusammenarbeit mit Strafverfolgungsbehörden zur Pirateriebekämpfung verbessert – damit das Marktvolumen der Branche bis 2033 auf 20 Billionen Yen ansteigen kann.

Anime-Fans können nur darauf hoffen, dass diese Schritte langfristig zur Lösung der tief verwurzelten Probleme im Produktionsausschuss-System beitragen. Entscheidend wären jedoch grundlegende Reformen, um Einkommensunterschiede abzubauen, Arbeitsbedingungen zu verbessern und kleinere Studios gezielt zu stärken.

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Via Tokyo Shimbun
© Reiji Miyajima, Kodansha / »Kanojo, Okarishimasu« Production Committee

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Primordus

Wenn ich mir so manche Werke anschaue frage ich mich wo die Kohle reingeflossen ist sicher nicht in den Animationen

Natsu90

Ja das wird in Zukunft auch nur heftiger werden also dass ist ja an sich nichts Neues. Tja da kann man ja nur hoffen dass die Regierung vielleicht etwas tun kann oder auch nicht wie gesagt: öfter mal was neues🤔🤷‍♂️

Ich

Nun, was soll man da machen? Da bleibt ja letztlich nichts anderes übrig als den Studios mehr abzugeben – wilde Idee, ich weiß.

Und einer Regierung, die daran interessiert ist Anime im Ausland zu vermarkten, sollte doch daran gelegen sein, dass da noch Studios sind, die die Anime produzieren, die sie im Ausland anpreisen wollen. Von daher wäre es doch gut, wenn man mal etwas … Initiatve zeigt.

Den Produktionskommitee’s sollte es ja damit auch nicht anders gehen. Mit was wollen sie Geld machen, wenn keiner oder zumindest noch kaum einer da ist, der das produziert, was die vermarkten wollen? Da sollte man sich vielleicht doch mal etwas besser kümmern.

twxxle

Ist jetzt echt nix neues. Das hört man schon seit mindestens 20 Jahren. Jedes mal sagt man, man möchte was verbessern, aber am Ende ist es wie immer nur heiße Luft.